Raus aus dem Alltagstrott und die Sorgen vergessen, hieß es wieder einmal an St. Johanni. Der 24. Juni ist der Geburtstag von Johannes dem Täufer und markiert das Ende der Rhabarber- und Spargelernte. Der 2. Austrieb der Gehölze (Johannistrieb) beginnt nun.
Bei herrlichstem Ausflugswetter ging es gut gelaunt und bepackt mit Kartoffelsalat, Eiern und Schwendgurken früh um 7 los, zusammen mit Sven und uns beiden Cornelias. Witziges Detail: Auch die andere Cornelia stammte aus einer Opeldynastie und steuerte den roten Opel Attila sicher und flüssig durch den Stadtverkehr. Der kesse Sven spielte auf seine unnachahmliche Art den Navigator und bald hatten wir aufgeregt schnatternd den Kontrollpunkt Dreilinden passiert. Die beiden hatten mir noch nicht verraten, wohin die Reise ging und ich konnte die Spannung kaum noch aushalten.
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Nachdem wir die Ausstellung gesehen und für unser leibliches Wohl gesorgt hatten, machten wir uns frohen Mutes in schönstem Sonnenschein auf zu den traditionellen Quellgängen, um alles Unglück des kommenden, wie auch des vergangenen Jahres ein für alle Mal abzuwaschen. Laut Becker-Huberti muß dazu fließendes Wasser aus Quellen oder Bächen verwendet werden, mit dem man die mit Johanniskränzen geschmückten Frauen besprengt. Die Kränze bestehen aus siebenerlei bzw. neunerlei Kräutern und Pflanzen, z.B. Bärlapp, Beifuß, Eichenlaub, Farnkraut, Johanniskraut, Klatschmohn, Kornblumen, Lilien, Rittersporn und Rosen. Lange Rede, kurzer Sinn: Eine Dusche aus dem Rasensprenger vor Sans-Souci („ohne Alles“) tat es schließlich auch, befanden die zwei Cornelias großzügig und kicherten vergnügt.
Außerdem: Potsdam sieht vielerorts aus wie die nachgebaute Straßen-Attrappe genannt „Alt-Berlin“ im Phantasialand Brühl. Sofort wollen wir in so einen Freizeitpark fahren, Heidepark Soltau oder irgendwo Goldnuggets diggen gehen.
bricht ab
und überlegt zur Kommunismus-Konferenz zu fahren, oder zur Biennale, oder beides, heute abend ist auch allerhand.
möchte klingen wie die Seniorenzeitschrift OASE
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Morgen: wie Cornelia in der Tür der Tier-Tafel und des Täter-Opfer-Ausgleichs von einem Berber gefragt wird, ob sie schon einmal in einem Ameisenhaufen geschlafen hat.
Bonus: Wie die eine Cornelia von der anderen gefragt wurde, ob sie „Beziehungen“ führe. Schrecklich.
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27.6.
Nach dem Tafelspitz im herrlichen Garten am Moritzplatz fuhr ich zur vom Kommunismus rot angeleuchteten Volksbühne und beobachtete die Kommunisten, die einen ganz guten Eindruck machten, junge, moderne Leute aus verschiedenen Ländern, eine Gruppe unterhielt sich links von mir in einer extrem seltsam klingenden Sprache. Bald dachte ich, das müsse ungarisch sein, bald dachte ich belarus. Das Christentum ist doch nicht aus der Tatsache entstanden, das es den historischen Jesus gegeben hat, der zum Märtyrer wurde. Zu der Zeit gab es hunderte Heilsprediger, die Märtyrer wurden. Das Christentum gibt es nur deswegen, weil mit Macht behauptet wurde, daß gerade dieser Jesus der Sohn Gottes, des einzigen Gottes ist und Gott ihn auf die Erde gesandt hat, damit er für die Sünden der Menschen stirbt, die, wenn sie das nur glauben und bekennen, nach ihrem Tode weiterleben werden. So eine grundabstruse, unlogische, unwahrscheinliche Geschichte hätte sich ohne penetrante Promo-Jünger niemals durchbringen lassen und auch nicht ohne Androhung von Strafe bei Unterlassung. Das gilt für alle Heilsverheißungen und am Christentum läßt sich so gut studieren, daß man den größten Blödsinn, der hinten und vorne nicht zusammenpaßt und auch mit der „Wirklichkeit“ nichts zu tun hat, trotzdem so durchsetzen kann, daß Menschen tatsächlich darin, davon vollkommen durchdrungen, leben.
Will ich damit sagen, was der extrem komplizierten Christentum-Idee gelungen ist, müßte doch der dem Menschentum viel näher liegenden Kommunismus-Idee erst Recht ein Leichtes sein, oder was?

Lutterworth, der eigentlich das ausverkaufte Castorf-Brecht-Stück sehen wollte, wich auf ein anderes aus und berichtete enthusiastisch. Re-Enactment eines Theaterstücks einer fahrenden Bühne Ende der 60er in wo? Rumänien? („Das Stück Pupilja, Papa Pupilo and the Pupilceks – Reconstruction von Janez Janša ist das Reenactment einer neoavantgardistischen Performance von Dušan Jovanovi?, die 1969 im damals sozialistischen Slowenien stattfand.“) an dessen Ende das Publikum entscheiden sollte, ob auf der Bühne ein Huhn geschlachtet werden soll. Das Publikum war in der Mehrheit dafür. Dann sagte einer der Schauspieler, gut, dann soll es auch einer aus dem Publikum machen. Binnen 3 Sekunden war dann wohl ein Mann aufgestanden, zur Bühne gekommen und hatte das Huhn in einem Bottich in die Brust gestochen. Das wäre Wahnsinn gewesen, eine wahnsinnige Spannung. Auch andere erzählten davon jetzt ganz aufgeregt, jeder aus seiner Perspektive eine ziemlich andere Version, natürlich, und das ja die Schwierigkeit, die Frage interessant sei, was Re-Enactment eigentlich bedeute, bedeuten soll, bedeuten könne, konkret, vor Ort. Dann kam Fetzer und sagte, das Huhn lebe und sei bereits verbunden worden. Die anderen: NEIN! – Doch, tatsächlich. Re-Enactment. Und Lutterworth hatte nachher einen aus dem Ensemble gefragt, ob das nicht doch einer aus ihrer Truppe war, der das Huhn erstochen hatte. Ehrlich nicht, hatte der Schauspieler gesagt und das sei auch noch bei keiner Aufführung (in keinem anderen Land) passiert, daß das Publikum gefordert hat, das Huhn zu töten. Nur bei den gelangweilten Hauptstädtern der Bundesrepublik.
Um 23 Uhr gab es noch das Konzert vom Schwabinggrad-Ballet, wo ich erst dachte, au, lustig schrille Selbstentblößung mit menschlichem Augenzwinkern, dann wurde es besser bis teilweise richtig gut und als großer Ted Gaier Fan freue ich mich immer über den Anblick Ted Gaiers.
Jetzt tue ich zur Arbeitsstelle fahren. Der Zug wird hoffentlich leer sein, Deutschland gegen England.
Lied für aus dem Zug rauszukucken zwischen Saalfeld und Nürnberg, bei Sonnenschein
IBM – Batteries Not Included
28.6.
Hey, Frank Rennicke kandidiert ja auch als Bundespräsident.

Das wäre ein Spaß.
29.6.
Uwe Lausen in der Villa Stuck: Ja!
(besonders 1962 – 1966)
U. Lausen hatte geraten, die Gruppe SPUR aus der Situationistischen Internationalen auszuschließen.

U. Stolterfoht im Literaturhaus München, heute 20 Uhr: Habe ich ein Glück!
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Heute morgen im Nordbad war unter der Dusche eine steinalte Frau mit erstaunlich, praktisch geisterhaft jugendlichen Brüsten, bei von mir ansonsten für normal gehaltenen, altersmäßig angepaßtem Bindegewebszustand. Der Busen war eher klein und nicht aufgefüllt, natürlich, ganz komisch. Dazu hatte sie ein schönes uraltes Gesicht mit hellrotem Mund. Ich muß von der nackten Frau so fasziniert gewesen sein, daß ich sie plötzlich anredete, bzw. hörte, wie ich sie anredete, damit sie etwas sage: Das wird bestimmt ein sehr heißer Tag, wo es jetzt bereits so heiß ist! Sie antwortete: Ja, am besten man macht alles in der Früh! — Das würde ich auch gern, ich brauche leider so lange, um wach zu werden. Aber naja (oder so). Dann verabschiedete ich mich.

Am 12. Mai 2010 um 10:14 Uhr: