Adequate

tischdecke.jpg

24.2.11, 13:52

heilige-ordnung.jpg  

misc.

Liebe Wiedertäufer, liebe Schwestern und Brüder im Geiste!

Mein neuer Name hat mir nur Unglück eingebracht. Deswegen habe ich mich gestern Nacht nochmal vorschriftsmäßig umgetauft und heiße fortan nicht mehr DBCGF, sondern FRANK. Und zwar nicht die Frank, sondern der Frank. Okay?

Gut. Dann sei es so.

bis bald in Berlin!

Euer Frank

wiedertaeuferfest_12.jpg geisselungswerkzeug.jpg

____________

[ich hatte, nachdem ich den Text von Regina Mönch über Erich Loests Tagebuch gelesen hatte den Teilnehmer gefragt, ob er eine Meinung zu Erich Loest habe. Weil mir Erich Loest „vom Typ her“ „genetisch“ vom Reden und Seinsart her sympathisch geworden ist durch ein längeres Interview auf TV Berlin, einmal, und ein interessanter Fall biografisch, ich aber nie was von ihm gelesen habe und es eigentlich auch nicht will, aber in diese Tagebücher vielleicht schon mal reinkucken, schon wegen: „Mit meinem Tagebuch beginne ich unvermittelt und höre vermutlich aus irgendwelchen Gründen irgendwann auf.“ (wobei ich jetzt schon das Gefühl heraufbeschwören kann und habe, wie sowas umkippt und sofort nervt. Klar.) Beschreibt der Teilnehmer sehr anschaulich.]

Am 24.02.2011 12:20, schrieb der Teilnehmer:

ja.hat er…. 1 sachse.1 gelernter ddr bürger.kein schriftsteller.(seine belletristik kann man verfilmen.was man ja auch macht)eher chronist.aber auch nicht „unbestechlich“//interessiert mich nicht.ausser die beiden ersten romane 1952/53.

ansonsten.siehe 1 sachse(mit gemüth und mit herz).es gibt schlimmeres.
hat seine verdienste.steht so im schrifttellerlxikon…(war in haft!).usw.worum handelt es sich?1 grossonkel deiner sippe?
sein gegenspieler/bruder ist der zwerenz,gerhard.heute vergessen.aber auch nicht wichtig.wichtiger da volker braun.(das experiment aufbau.und die widersprüche.nunja…lange her.).

und zur moralischen instanz.darum geht es doch wohl.das war stefan heym eher….aber auch egal.eben „ddr“ -geschichte fussnote usw.–

Am 24.02.2011 12:42, schrieb der Teilnehmer:

erich loest „das jahr der prüfung“.über die abf(arbeiter und bauern fakultät.eine art uni für nicht gmnasiasten.letztendlich kaderschmiede.aber zum zwecke der „brechung des bgl bildungsmonopols“/

und:DIE WESTMARK FÄLLT WEITER….klasse titel.über berlin 1948.
ich habe in den letzten jahren sehr viel -drei dutzende- sog soz.realismus queer gelesen.gerade weil es so aschrnputtelig ist heutzutage…richtig stainistisch affirmativ ist wirklich schwer zu finden!!!) (interessant die muster und pattern im produktionsroman.schön immer die weibliche traktoristin oder kranführrin.
aber siehe harald schmidt:zu HEUTZUTAGE

20.02.2011

Der beste Berlin-Roman aller Zeiten

Superintensive Gefühle, existenzieller Hunger, eine Liebe, die sich gegen die deutsche Schwere stemmt: Woran sich zeitgenössische Autoren in den letzten Jahrzehnten vergebens versuchten, gelingt Harald Schmidt nun mit leichter Hand. Ein exklusives Exposé, das nichts weniger ist als ein Glücksfall für die Literatur

Mein erster Roman ist fertig. Der Verleger weiß es noch nicht, ich möchte ihn damit überraschen.

Fertig nicht in dem Sinn, dass schon eine Zeile geschrieben wäre. Fertig im Sinn von Mozart oder Beethoven. Im Kopf. Jetzt muss er nur noch abgeschrieben werden. Ehrlich gesagt, hätte ich es mir nicht so leicht vorgestellt. Nach allem, was man bisher so von Romanen kannte (die Gebrüder Mann, Dostojewski), ist dafür ja jede Menge Personal und Handlung nötig. Handwerk, wohin der Leser schaut.

Aber wir sind in Deutschland. Herbst 2010, und da hat der Durchschnittsroman ungefähr 107 Seiten, notfalls etwas größer gedruckt.

Ort der Handlung ist Berlin. Hallo? Anfängern empfehlen wir Mitte. Wer schon mal einen Besinnungsaufsatz oder einen Reisebericht für die Lokalzeitung abgegeben hat, kann sich auch nach Friedrichshain wagen. Köpenick erfordert fast schon ein Schreibseminar.

Hauptfigur sollte eine Frau sein. Mitte dreißig. Anna, Hanna oder Leah. Auch Sarah, Katharina oder Thea sind möglich. Ebenso wie Inga, Jule, Agnes, Judith oder Magda. Ihr Freund heißt Lars, Lutz, Laszlo oder Sven. Denkbar wäre auch Ulf, Moritz oder Alex. Ebenso wie Christoph, Philip, Phillip oder Filipp.

Die beiden leben in einer Zweieinhalbzimmerwohnung mit schrägen Fenstern unterm Dach. Ein regelmäßiger Streitpunkt ist, wie die nächste Wohnung aussehen könnte. Altbau in der Stadt oder doch was weiter draußen. Selbst ein Reihenhäuschen wäre vorstellbar, über das Klischee von Spießigkeit sind die Hauptfiguren ebenso hinweg wie die Leser.

Sarah hat zwei Abtreibungen hinter sich (mit 18, nach der Klassenfahrt, und mit 25, nach einem verheirateten Prof). Lars hat einen Sohn (Ben, 4) aus einer früheren Hauptbeziehung, der bei seiner Mutter in Leipzig lebt. Lars sieht Ben einmal im Monat, er verbringt dafür das Wochenende in Leipzig. Sarah hätte natürlich nichts dagegen, wenn Ben nach Berlin käme, aber derzeit ist es so für alle Beteiligten rein reisetechnisch am unkompliziertesten. In Sarah schwelt der leise Verdacht, dass Lars während der Besuche noch mit Bens Mutter schläft. Sie heißt Su, 29, und arbeitet als Tänzerin und Choreografin in einem freien Projekt.

Lars ist von Beruf Tischler und verdient ziemlich gut mit Spezialaufträgen für Messebauten. Dass er auch in der Berliner Wohnung alles mit viel Geschmack und Liebe fürs Detail entworfen und gebaut hat, versteht sich von selbst. Zweimal hatte er Beziehungen zu Männern, ist aber eindeutig hetero.

Sarah hat nach dem Abitur ein Jahr in Chile verbracht. Als Erzieherin in einem Kinderheim in Santiago. Sie hat Patagonien mit dem Motorrad bereist und die Atacamawüste zu Fuß. Mit dem Bus ist sie vier Wochen durch Argentinien gefahren. Die Beschreibungen dieser Reisen nehmen im Roman gut zwanzig Seiten ein. Dialoge sind so gut wie überflüssig, denn es werden überwiegend überwältigende Natureindrücke beschrieben. Kleiner Tipp: möglichst viele Pflanzen- und Vogelnamen erwähnen, schafft Authentizität.

Fester Bestandteil eines Romans – vor allem wenn er frauenaffin sein soll – sind zwei Elemente: ein Guru und der Besuch der Eltern in Berlin. Varianten sind möglich. Es kann auch der Besuch im Elternhaus in der Provinz erfolgen, dabei könnte Sarah dem Guru über den Weg laufen.

Ergiebiger ist es meiner Meinung nach, die Eltern nach Berlin kommen zu lassen. Sie sind Anfang sechzig und heißen Dirk und Doro. Kennengelernt haben sie sich während der katholischen Jugendarbeit in Ravensburg. Schwäbische Herkunft ist nahezu Pflicht. Aktuell böte sich natürlich der Großraum Stuttgart an. Hätte aber etwas krampfig Aktuelles und riecht zu sehr nach Aussage. Es gingen auch Orte wie Bamberg oder Heilbronn, Bad Kissingen oder Montabaur – aber Oberschwaben ist besser.

Für den durchschnittlichen Leser (m/w) ist sowieso alles südlich von Frankfurt Schwaben oder Bayern. Und Oberschwaben bietet landschaftlich erstklassige Möglichkeiten – Ravensburg, Memmingen, Ottobeuren, Bodensee, barocke Basiliken, Reliquienverehrung, bröckelnder Katholizismus, Skiurlaube in der nahen Schweiz.

Denn das Wichtigste am zeitgenössischen deutschen Roman: Er spielt nahezu ausschließlich im Milieu, aus dem die Autorin stammt. Maximal kommt noch ein weiteres Milieu hinzu. Bei sehr erfahrenen Autorinnen noch eins, aber dann geht’s wieder zurück in die eigene Befindlichkeit. Zusatzmilieus wären etwa ein Rentnerehepaar aus Hermannstadt (Rumänien, Vertriebenenthematik aus überraschender Perspektive), das mit im Haus in Berlin lebt.

Oder Mufti, ein libanesischer Jugendlicher in London, der in Kapital zwo eingeführt wird. Die Londoner Kapitel haben zunächst nichts mit den Berlinern zu tun. Sie unterscheiden sich in Stil und Ausdruck frappant, man merkt: Hier wurde recherchiert, hier hat sich jemand reingearbeitet, vielleicht sogar noch ein halbes Jahr dort gelebt (Praktikum? Goethe-Institut?). Je weiter die Handlung fortschreitet, desto mehr laufen die Wege von Mufti (London) und Sarah/Lars (Berlin) aufeinander zu. Bis es zur körperlichen Begegnung kommt, gern auch schicksalhaft.

Aber zurück zu Dirk und Doro, Sarahs Eltern aus Ravensburg. Die beiden sind seit ihrer Firmung zusammen und haben immer noch vier Mal pro Woche Sex. Dies lassen sie ihre Umwelt auch gerne spüren. Vor allem Sarah, die doch vom Küsschengeben und Schnäbeln und Tätscheln ihrer Eltern während des Einkaufs auf dem Markt leicht angenervt ist.

Denn am ersten Abend wird bei Elternbesuchen zu Hause gekocht. Tradition. Das übernimmt Dirk, der auch den Einkauf federführend getätigt hat. Die Beschreibung des Kochvorgangs kann sich gerne über fünf Seiten hinziehen.

Gemüse, Gewürze, Kräuter, Weine, Jahrgänge, Nachtische – alles lässt sich mit wenig Anstrengung recherchieren.

Bei der dritten Flasche Rotwein, durch die geöffneten Fenster dringt die laue (!!!) Berliner Nachtluft ins Zimmer, kommt es zum Streit zwischen Dirk und Lars. Streit ist vielleicht zu viel gesagt. Dirk verfällt in einen gereizten Monolog über Gott und die Welt. Das ist wörtlich zu nehmen, denn hier lässt sich alles unterbringen, was man als ökologisch interessierter Katholik im taumelnden Kapitalismus über die Jahre so alles zusammengelesen hat. Eine überragende Figur wie der Kirchenvater Augustinus trägt durchaus über zwei Seiten. Dirk ist Bauingenieur, und Doro hat noch kurz in Ulm bei Otl Aicher Grafik studiert, aber in ihrer Kirche waren sie immer aktiv. Kritisch und durchaus auch zu deutlichen Worten gegenüber Rom bereit, aber im Grunde ihrer Seelen tief im Glauben verwurzelt. Von Sarahs Abtreibungen wissen sie nichts. Schon gar nicht, dass die erste (die nach der Klassenfahrt nach Rom) vom katholischen Jugendpfarrer organisiert wurde.

Und damit kommen wir zum Guru. Es muss nicht gleich Bali oder ein Ayurveda-Resort im Indischen Ozean sein. Warum sollen sich Werner, der Guru, und Sarah, die abgebrochene Pädagogin (irgendwas sehr, sehr Intensives mit „Behinderten“, so ihre berufliche Vorstellung in der Abi-Zeitschrift „Schwabylon“. Auf die Anführungszeichen bei „Behinderten“ hat sie Wert gelegt), nicht zufällig im Hausflur treffen, als Guru Werner auf den Briefkästen nach einem Namen zu suchen schien?

Sarah ist noch in Gedanken. Sie hat vormittags in der Agentur einer Freundin gearbeitet, die Besuchswochenenden für geschiedene oder getrennt lebende DAX-Vorstände organisiert. Oder zumindest für Führungskräfte. Aber Top-Kunde ist ein DAX-Vorstand, dessen Töchter einmal im Monat von Bonn an die Ostsee und zurückgebracht werden müssen. Außerdem hat Sarah aus Sentimentalität die Nacht in der Bettwäsche von Dirk und Doro verbracht, die am Nachmittag zuvor nach Ravensburg zurückgefahren sind. Sarah muss dann immer einmal in der Bettwäsche schlafen, ehe das Bett neu bezogen wird.

Wahrscheinlich erinnert sie das an die Geschichte aus ihrer Kindheit, wenn Oma Gretl von früher erzählte. Wie die ganze Familie sich samstags im selben Wasser wusch, im Zuber in der Waschküche, und Heinerle, der Bruder von Oma Gretl, durfte mit seinem Stumpf aus Russland zuerst in den Bottich (Hier folgt Nazizeit/Einfache-Leute-Sequenz, die noch ausgearbeitet werden muss. Stichworte Smolensk – rotes Fleisch – Krankenschwester/weiße Brüste – fremder Mann am Ende der Dorfstraße – nur noch 48 Kilo – nie geredet, nachts geschrien – Fronleichnamsprozession – flirrende Junihitze – Strick, Dachboden).

Und dann stand da plötzlich Werner an den Briefkästen. Er wirkte leicht siffig und roch geil. „Du siehst müde aus“, sagte er zu Sarah. Seine Zähne waren weiß und kräftig, und sie erinnerte sich, dass auch schon Politikerehen mit diesem Satz begonnen hatten. Hatte sie mal irgendwo gelesen.

„Wohnen die Goldhagens denn nicht mehr hier?“, fragte er, ohne sich allzu sehr für ihre Antwort zu interessieren. Er stand jetzt unmittelbar vor ihr, und sie sah die winzigen Schweißperlen auf den beiden Fibromen, die auf Höhe seiner Schilddrüse am Hals baumelten.

Die folgende Roman-Passage ist inhaltlich nicht zwingend, eignet sich aber perfekt für Vorabdrucke und erste Leseproben an Vertreter und den Buchhandel:

Bei jedem anderen Mann hätten sie die hässlichen Hautwarzen geekelt, die an ihren Spitzen aussahen, als hätten sie schwarze Mützchen auf. Selbst von Lars erwartete sie, dass er duschte, bevor sie miteinander schliefen. Manchmal ließ sie es zu, dass er sie einfach nahm, aber dann war sie noch tagelang wund gescheuert von den Sägemehlresten in seinen Schamhaaren. Bei Werner ergab sich alles wie von selbst. Er tat ihr weh, als er sie mit dem Rücken gegen die Steinstufen presste. Er war ruppig, als er ihr seinen Schwanz bis zum Schaft in den Mund rammte. Es schmerzte, als er ihren Kopf dabei an den Haaren ins Genick zog. Unwillkürlich musste sie an Annegret denken, ihre Freundin aus Ravensburger Schulzeiten.

Annegret konnte nachts nur noch sehr unsicher Auto fahren, weil sie sich beim Blasen die drahtigen Schamhaare eines deutschen Nachwuchsdramatikers ins rechte Auge gestochen hatte. Hinter dem Spiegelzelt, bei einer Party während des Theatertreffens Ende der Neunziger.

Später, als sie Hand in Hand an der Topografie des Terrors vorbei Richtung Checkpoint Charlie schlenderten, fragte Werner Sarah, was sie von Margarete Mitscherlich halte. Ohne ihre Antwort abzuwarten, erzählte ihr Werner von einem Interview, das Alice Schwarzer mit Margarete Mitscherlich geführt hatte. Darin sprach die Psychoanalytikerin von ihrer Erfahrung, dass die überwiegende Mehrheit der Frauen sich davor ekelte, den Samen zu schlucken.

Werner erzählte Sarah, dass dieses Interview seinem Leben eine andere Richtung gegeben habe. Er wünsche sich so sehr, dass Sarah ihn einmal in Kärnten besuche, auf dem Bergbauernhof, auf dem er aufgewachsen war, ohne Vater, mit Mutter, Tante und vier Schwestern. Und natürlich Tieren.

Dann schwieg Werner, und als er an einer Ampel flüchtig ihren Hals küsste, merkte Sarah, dass er weinte. Sie glühte, und zum ersten Mal spürte Sarah einen magischen Sog, der ihr fast den Atem nahm: Ja, sie wollte ein Kind.

Ich breche ab. Der Roman will mir nicht recht gelingen. Schreibe ab jetzt lieber Notizen, Fragmente, Hingeworfenes. Vielleicht stellt sich hier Leichtigkeit ein, die ich so schmerzlich vermisse. Wer weiß …

Vorabdruck aus: Harald Schmidt, „Fleischlos schwanger mit Pilates“, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2011, 208 S., br., 8,94 Euro

Eine Reaktion zu “Adequate”

  1. admin

    um moralische Instanz geht es nicht, jedenfalls nicht in einem popeligen Sinn.
    Eher, wem hört man gerne zu, wem nicht.

Einen Kommentar schreiben